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Angstgefühle als Energiequelle für den Körper
Wenn wir die Ursachen von Stress und Angstgefühlen kennen, können wir sie in positive Energie umwandeln.
ÄNGSTE UND IHREN URSPRUNG VERSTEHEN
Wir leben gelinde gesagt in unruhigen und unsicheren Zeiten. Bei WHOOP geht es oft um die Auswirkungen körperlicher Anstrengung auf Herzfrequenzvariabilität (HFV) und Erholung. Aber auch emotionaler und psychologischer Stress kann die HFV beeinflussen (Chalmers et al., 2014). Stress und auch Angstgefühle können jedoch in positive Energie umgewandelt werden. Hierzu gilt es herauszufinden, wo diese Emotionen ihren Ursprung haben. Das Problem bei der Quellensuche: Ängste können subtil sein, aus dem Nichts auftauchen und sich so langsam aufbauen, dass man sie zunächst kaum wahrnimmt. Doch je besser wir all diese kleinen Unruhen in unserem Körper erkennen, desto besser sind wir in der Lage, solche Momente zu deuten und zu unserem Vorteil zu nutzen. Als ich vergangenen Sonntag über die vor mir liegende Woche nachdachte, wurde mir wieder einmal bewusst, wie wenig Kontrolle ich über alles habe. Nicht nur über das, was meiner Familie und mir im Alltag widerfährt, sondern auch über das, was in der Welt vor sich geht. Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug und Angst in mir aufstieg. Der sympathische Zweig meines Nervensystems wurde aktiviert und gab meinem Körper das Signal, sich auf den Kampf vorzubereiten. Doch auf welchen Kampf eigentlich?
WAS LÖST ÄNGSTE AUS?
Keine Frage: In der Welt geht es gerade drunter und drüber. Aber für mich persönlich gibt es keine wirkliche unmittelbare Bedrohung. Sich das bewusst zu machen, die Dinge einzuordnen, hilft ungemein. Kontrolliertes Atmen ist dabei eine gute Strategie, andererseits schenkt uns das in stressigen Momenten ausgeschüttete Adrenalin und Cortisol auch Energie. Wir neigen oft dazu, Ängste und die damit einhergehenden körperlichen Signale als etwas Schlechtes anzusehen. Wir versuchen mit allen Mitteln, uns zu beruhigen und die Signale zu unterdrücken. Was aber, wenn unser Körper uns eigentlich sagen will, dass wir handeln sollen? Wie wir mit all den Signalen umgehen, die uns unser Körper tagein, tagaus sendet, bestimmt in hohem Maße unser geistiges und emotionales Wohlbefinden. Gerade bei Ängsten kann das Erkennen, Interpretieren und bewusste Lenken der vom Körper gesendeten Signale helfen, wieder ein Gefühl der Kontrolle zu erlangen und produktiv mit Stressgefühlen umzugehen. Im Folgenden sehen wir uns die Zusammenhänge zwischen menschlichem Nervensystem und Herz etwas näher an und beleuchten, wie sich die Signale des Körpers deuten und nutzen lassen.
DAS EINMALEINS DES AUTONOMEN NERVENSYSTEMS (ANS)
- Das Herz besitzt ein eigenständiges Nervensystem, über das Gehirn und Herz miteinander kommunizieren und sich gegenseitig beeinflussen.
- Als Herzfrequenzvariabilität (HFV) werden Veränderungen des zeitlichen Abstands zwischen zwei Herzschlägen bezeichnet. Man geht heute davon aus, dass die HFV innere emotionale Zustände widerspiegelt und ein indirekter Indikator für Gesundheit und Wohlbefinden ist (McCraty et. al., 2014).
- Die beiden Zweige des autonomen Nervensystems (Parasympathikus und Sympathikus) konkurrieren darum, Signale an das Herz zu senden. In einem gesunden System dominiert der Sympathikus, wenn eine Bedrohung wahrgenommen wird und Handlungsbedarf besteht, während der Parasympathikus dominiert, wenn keine Bedrohung vorliegt.
- Ein gesundes System ist von ständigen und dynamischen Veränderungen geprägt. Die Fähigkeit, auf das relative autonome Gleichgewicht (zwischen sympathischem und parasympathischem Nervensystem) zu reagieren und beispielsweise die Herzfrequenz der jeweiligen Situation anzupassen, ist ein wichtiger Indikator für den Zustand der regulativen Systeme.
- Die Kenntnis der eigenen Herzfrequenzvariabilität kann zu besserer Gesundheit und stärkerem Wohlbefinden führen (Bornemann, 2019).
EINFLUSS PSYCHOLOGISCHER BEDÜRFNISSE AUF DAS AUTONOME GLEICHGEWICHT
Es ist erwiesen, dass jeder Mensch drei psychologische Grundbedürfnisse hat: 1. Sinn und Zweck spüren durch die Harmonie zwischen eigenen Verhaltensweisen und Werten. 2. Kontrolle über das eigene Leben spüren. 3. Wirkungskraft spüren – das Gefühl, über die notwendigen Fähigkeiten und das Wissen zu verfügen, um gestellten Anforderungen gerecht zu werden (Ryan & Deci, 2012). Für unser Wohlbefinden müssen wir dafür sorgen, dass diese Bedürfnisse Tag für Tag erfüllt werden. Besteht die Gefahr, dass sie nicht erfüllt werden, nimmt das ANS dies als Bedrohung wahr und gibt dem Körper das Signal, Blutdruck, Herz- und Atemfrequenz sowie Körpertemperatur zu erhöhen. So soll der Körper in die Lage versetzt werden, die Bedrohung abzuwehren.
ANGSTZUSTÄNDE UND DAS AUTONOME NERVENSYSTEM
Die HFV ist nicht nur ein ausgezeichneter Indikator für die körperliche Leistungsfähigkeit, sondern hat auch eine hohe Aussagekraft in Bezug auf das psychische Wohlbefinden (Shaffer et al., 2014). Während also körperliche Aktivität eine wichtige Rolle bei der Regulierung der HFV spielt – mit zunehmender körperlicher Fitness steigt auch die HFV –, kommt psychischem Stress vermutlich eine noch größere Bedeutung zu. So ergab etwa eine Metaanalyse aus dem Jahr 2014, dass Angststörungen mit einem deutlichen Rückgang der HFV in Verbindung stehen (Chalmers et al., 2014). Bleiben zentrale psychologische Bedürfnisse unerfüllt, manifestieren sich diese „Dissonanz“ und die damit verbundenen biologischen Stressreaktionen (erhöhter Cortisolspiegel, der zur Aktivierung des Sympathikus führt) im ANS und spiegeln sich dann in der HFV wider. Eine hohe HFV bedeutet dabei, dass der Körper besser auf beide Signale des ANS reagiert, was eine höhere Funktionsfähigkeit im Verhältnis zum Funktionspotenzial ermöglicht. Leider interpretieren wir diese Signale des Sympathikus oft als etwas Negatives. Deshalb tendieren wir dazu, Stress- und Angstgefühle kurzfristig auf wenig konstruktive Weise zu unterdrücken oder zu verdrängen – durch Essen oder Alkohol, Medikamente, Prokrastination oder indem wir über die Zukunft grübeln. Empfohlener Artikel: Auswirkungen von Stress auf HFV, Ruheherzfrequenz und Erholung
ENERGIE AUS STRESS
Eine bessere Herangehensweise ist, zu überlegen, warum das ANS diese Signale überhaupt sendet. Meiner Beobachtung nach besteht das Problem darin, dass die erwähnten kurzfristigen Lösungen es uns zu leicht machen, die Signale des Sympathikus zu ignorieren oder zumindest abzuschwächen. Damit verpassen wir die Chance, den Stress, der durch die Aktivierung des Sympathikus entsteht, in Energie umzuwandeln – Energie, die wir gut gebrauchen könnten, um die Ursache von Angstgefühlen zu beseitigen. Würden wir diese Signale bewusster wahrnehmen und ihnen auf den Grund gehen, könnten wir mit der frei werdenden Energie gesünder und nachhaltiger handeln. Mit anderen Worten: Wir könnten unseren Stress in produktive Bahnen lenken.
MEHR PRODUKTIVITÄT DURCH MEHR BEWUSSTSEIN
Die Aktivierung des sympathischen Nervensystems hilft uns, den Wert von Arbeit, Fortschritt, Innovation und Kreativität zu erkennen, sodass wir unsere Aufgaben erfüllen und im Leben vorankommen können. Die Aktivierung des parasympathischen Nervensystems wiederum wird dadurch ermöglicht, dass wir präsent sind und die Schönheit des Augenblicks genießen. Durch ein erhöhtes Bewusstsein – und ausreichend Schlaf – können wir diese Zustände richtig deuten und uns zunutze machen, um unbegründete Ängste und Stress abzubauen. Meine klare Empfehlung lautet daher, beim nächsten Aufkommen von Angst und Stress nach der Quelle zu suchen. Denn die Ursache dieser Energie erzeugenden biologischen Reaktionen könnte sein, dass unser Unterbewusstsein uns sagen will: Tu etwas! Als ich letztes Wochenende spürte, wie sich die Angst in mir aufbaute, habe ich das als Motivation genutzt, um den Keller und die Garage aufzuräumen und die Terrasse herzurichten. Meine „Angstenergie“ in Produktivität umzuwandeln, habe ich noch nie bereut.
QUELLEN
Bornemann, B., Kovacs, P. & Singer, T. Voluntary upregulation of heart rate variability through biofeedback is improved by mental contemplative training. Sci Rep 9, 7860 (2019). https://doi.org/10.1038/s41598-019-44201-7 Chalmers JA, Quintana DS, Abbott MJ, Kemp AH. Anxiety Disorders are Associated with Reduced Heart Rate Variability: A Meta-Analysis. Frontiers in Psychiatry. 2014; 5:80. DOI: 10.3389/fpsyt.2014.00080. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4092363/ McCraty, R., & Zayas, M. A. (2014). Cardiac coherence, self-regulation, autonomic stability, and psychosocial well-being. Frontiers in Psychology, 5, 1090. doi:10.3389/fpsyg.2014.01090. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4179616/ Ryan, R., & Deci, E. (2000). Self-determination theory and the facilitation of intrinsic motivation, social development, and well-being. American Psychologist, 55, 68-78. Abgerufen im Dezember 2009: https://selfdeterminationtheory.org/SDT/documents/2000_RyanDeci_SDT.pdf Shaffer, F., McCraty, R., & Zerr, C. L. (2014). A healthy heart is not a metronome: an integrative review of the heart’s anatomy and heart rate variability. Frontiers in Psychology, 5, 1040. doi:10.3389/fpsyg.2014.01040. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4179748/